Zuhören
"Menschen, die zuhören, schenken Heilung für die Seele." so lautet
der Text einer meiner Postkarten.
Die habe ich mir als meine persönliche Tageskarte gezogen. Gleich zweimal ist sie mir heute schon begegnet. Zeit, darüber zu schreiben.
Aus meiner Erfahrung ist das Zuhören einer der wichtigsten Elemente im Coaching. Warum? Weil ich glaube, dass der Mensch selbst der beste Experte für seine Situation ist und er die Lösung in sich trägt. Weil er nicht noch einen Tipp von außen braucht und ich es nicht besser wissen kann und will. Und die Lösung ins uns braucht Aufmerksamkeit und ein offenes Ohr zum Zuhören. Dann zeigt sie sich auch.
Ein anderer Aspekt des Zuhörens: Erkennen, ich bin nicht alleine.
Gestern traf ich mich mit einer Kollegin in einem herrlichen Café in
Köln-Sülz. So jedes viertel Jahr machen wir einen Termin aus. Und es hat
mir so gut getan, von mir und dem zu erzählen, was in der letzten Zeit
passiert ist und ihr hat es umgekehrt gut getan, dass ich ihr zugehört
habe. Wir beide habe so einige Parallelen in unserem jetzigen Leben
festgestellt und das war herrlich erleichternd. Menschen finden, die
ähnliches durchleben, ähnlich fühlen, Verständnis haben. Nicht mehr
alleine da stehen oder als buntes Schaf der Herde, immer ein bißchen
außen vor, immer ein bißchen an sich selbst zweifelnd.
Unser Umfeld kann uns manchmal nicht mehr zuhören. Warum? Weil sie
unsere Leidensgeschichte schon x-mal gehört haben und sie ihnen an den
Ohren heraus kommt. Weil sie mit ihrem Latein am Ende sind. Weil sie mit
uns leiden und es ihnen jedes Mal wieder wehtut, wenn wir immer noch in
unserer Situation festhängen und es nicht weiter geht. Mir wurde das
kürzlich bei meinem Bruder deutlich: Ihm ging es schlecht, also ging es
mir auch schlecht. Als es ihm besser ging, ging es mir selbst auch
besser. Endlich aufatmen, ich konnte mich wieder auf mich selbst
konzentrieren. Musste mir keine Sorgen mehr machen. Das passiert
einfach, egal wie geschult ich bin. Je näher mir der Mensch ist, dem es
schlecht geht, desto mehr berührt es mich.
Es gibt aber auch Situationen, da will man leiden und (!) keine
gutgemeinten Ratschläge hören. Da braucht man jemand, der einem "nur"
zuhört.
Doch dazu braucht man diese Information vom Anderen. Gut ist, wenn ich
dann als "Leidende" meinem Gegenüber sage: "Ich brauche jemanden zum
Zuhören. Bitte keine Tipps und Hilfestellungen. Ich weiß, die Zeit geht
vorüber. Bitte nur zuhören und wenn du kannst, sag mir, dass du mich
verstehst, sonst sag nichts." Und wenn ich als Zuhörende diese
Information nicht habe und spüre, dass ich will dem anderen helfen will
und mir x gute Lösungen einfallen, die der andere aber nicht hören will,
kann ich ja fragen: "Was erwartest du von mir? Soll ich zuhören und
sonst nichts sagen? Willst du einen Rat? Ich mache mir Gedanken, wenn
ich höre, dass es dir schlecht geht. Du hilfst mir beim Zuhören, wenn du
mir sagst: Jetzt leide ich, die Zeit geht vorüber und ich brauche jetzt
nur ein offenes Ohr ...."
Die Seelenhygiene des Zuhörenden ist für mich auch noch ein wichtiger
Aspekt. Was ich damit meine? Wenn ich etwas erzählen will, den anderen
zu fragen, ob er Zeit hat, um mir zuzuhören. Und auch Interesse am
Zuhörenden zeigen und die Bereitschaft, auch ihm zuzuhören. Es bedeutet
für mich auch, "Stop" zu sagen, wenn ich als Zuhörende einfach nicht
mehr zuhören kann. Sehr wichtig finde ich auch, dass ich als Erzählende
ein Verständnis dafür entwickle, dass das, was ich erzähle, etwas mit
dem Zuhörenden macht, es nicht spurlos an ihm vorüber geht. Ich spreche
hier nicht von Erfolgserlebnissen oder lustigen Sachen, die ich erzähle,
sondern von Unzufriedenheit, Veränderungsprozessen, von Angst, von
Schmerz, von Sorgen, von Nöten, von Krankheit. Der Zuhörende trägt etwas
mit mir, in dem er zuhört. Deswegen finde ich wichtig, das Umfeld in
ernsten Situationen nicht zu sehr zu strapazieren, sondern auch die
Verantwortung zu übernehmen und mir professionelle Zuhörer zu holen, die
nicht von meinen Gefühlen und meiner Situation so betroffen sind wie
vielleicht die Familie oder Freunde.
Gute Zuhörer? Menschen, die sich Zeit nehmen. Die fragen: "Wie geht es
dir?" und diese Frage ehrlich meinen, weil sie wirkliches Interesse
zeigen. Durch ihr Zuhören. Die mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit da sind
und nicht gleichzeitig auf den Bildschirm schauen, durch die Gegend
starren, am Handy rumfummeln, auf den Tisch blicken oder einem ins Wort
fallen und von sich selbst erzählen. Menschen, die einen anschauen,
einen bestätigen, einen ausreden lassen - anerkennen, dass man sein darf
wie man ist. Durch zuhören dem anderen Achtung schenken. Dann kann die
Seele durchatmen und macht sich auf den Weg der Heilung.
Es ist ein Glück und großes Geschenk, solche Menschen um sich zu haben.
Das müssen nicht viele sein. Manchmal ist es auch ein Tier, das uns
anschaut und in den Augen so viel Verständnis transportiert, dass man
sich verstanden fühlt. Es kann auch die Natur sein, der Wald, ein Stein,
eine Muschel, der Regen, ein Weg.
Ich bin froh, dass ich Menschen habe, die mir mit ihrem ganzen Herzen zuhören und danke meiner Mutter, dass sie mir diese Eigenschaft mit auf den Weg gegeben hat.
Anja Kolberg
Thema: Blog - 2007, 1. Halbjahr, Blog - Beziehungen

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