Ein Geschenk sind gute Zuhörer
Menschen, die gut zuhören können - sie sind kostbar und selten. Was ein solcher Edelstein für mich ausmacht?
- Dieser Mensch hat ein wirkliches und ehrliches Interesse an meiner Person.
- Er nimmt sich Zeit, mir zuzuhören (und macht dabei nichts anderes), sondern blickt mir dabei in die Augen, schenkt mir seine ganze Aufmerksamkeit.
- Er stellt mir eine Frage, zum Beispiel: "Wie geht es dir?" und möchte die ehrliche Antwort hören.
- Durch Nachfragen macht diese Person deutlich: Ich höre zu. Ich will wirklich verstehen, was los ist und wie es dir geht. Nicht ich bin gerade wichtig, sondern du. Ich bin nicht besser als du. Ich habe nicht die Lösung, du hast die Lösung. Du bist die Expertin deines Lebens.
- Der Zuhörer oder die Zuhörerin lässt mich ausreden und auch eine Pause zu, wenn ich aufgehört habe zu sprechen.
- Ich höre als Reaktion keine Tipps, Beispiele oder Ratschläge. Der gute Zuhörer weiß: Wenn ich eine Lösung oder einen Rat will, frage ich.
- Dieser Mensch bewertet mich nicht mit solchen Reaktionen: Wie kannst du nur? Nu stell dich nicht so an! Sei doch froh... Weißt du wie viele andere damit leben? Anderen geht es noch schlechter. Was soll ich denn sagen? ...
- Für mich persönlich die Kirsche auf der Sahnehaube ist, wenn dieser Mensch mit mir fühlt und mir deutlich macht: Ich verstehe dich. Ich kann nachempfinden wie es dir geht.
Gut zuhören ist für mich ein Weg zur Meisterschaft menschlicher Kommunikation. Ob ich diese Punkte alle beherrsche? Manchmal schaffe ich es, nicht immer. Es ist ein Weg des beständigen Lernens für mich.
Meine häufigste Falle, in die ich tappe: Ich habe das Gefühl, dem Erzählenden durch Tipps und Lösungsideen helfen zu müssen. Das passiert zum Beispiel, wenn derjenige ohne Hoffnung ist, am Boden zerstört und in einer scheinbar ausweglosen Situation. Weil derjenige so hilflos, traurig wirkt, glaube ich, dass er mir das alles erzählt, weil er Hilfe von mir will. Das ist jedoch nicht der Fall wie ich von mir selbst weiß. Durch mein Verhalten übernehme ich für den Erzählenden Verantwortung, die nicht meine ist. Ich mache mir Sorgen, die ich mir nicht machen muss.
Mir fällt mein Verhalten immer eher auf und so trainiere ich dann bei mir selbst zu bleiben und dem anderen seine Verantwortung zu lassen. Denn ich weiß von mir selbst: Jammern tut herrlich gut und wer jammert, der will auf keinen Fall Hilfe, Tipps, Ratschläge! Der Erzählende, die Erzählende will sich "nur" ausheulen dürfen. Dadurch geht es meistens schon wieder viel viel besser. Wenn ich mich ausheulen möchte und mir fällt auf, dass der andere daraufhin einen Tipp nach dem anderen aus der Tasche zieht - die ich allesamt auf keinen Fall hören möchte - dann sage ich inzwischen: Ich möchte keine Tipps, ich möchte mich einfach nur ausheulen, mehr nicht. Du hilfst mir, wenn du mir nur zuhörst, dadurch geht es mir schon besser.
Denn wenn ich frei erzählen darf und keine Bewertung oder Ablehnung fürchten muss, dann höre ich mir dabei selbst zu: Ich entdecke auf diesem Weg die Lösungen, die in mir liegen. Und durch das wertfreie und interessierte Zuhören erfahre ich Heilung.
Für mich ist zuhören, den anderen verstehen und akzeptieren wie er ist und an seine innere Stärke zu glauben die große Kunst in Therapie und Coaching.
Anja Kolberg
Thema: Blog - 2009, 1. Halbjahr, Blog - Beziehungen
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