Manchmal ist es zum Schreien

Ich stehe vor einem Glaskasten. Innendrin schwebt ein goldener Umschlag mit der Lösung. Die Anleitung, was ich tun muss, damit es mir besser geht, ich fühle mich nicht so dolle. Aber keine Möglichkeit an das goldne Ding ran zu kommen, es gibt weder ein Schloss noch eine Türe im Glaskasten. Schon alles untersucht. Genau an der Stelle möchte ich am liebsten laut schreien - aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah! Vor lauter Wut, weil ich nicht weiß, wie ich an den Umschlag komme.

... ein bischen Zorn scheint auch dabei...

... könnte auch der Schlachtruf einer Kriegerin sein! Hey, das gefällt mir, denn darin liegt ganz viel Kraft und Energie. Mit der könnte ich einem Karatekämpfer den Glaskasten in Einzelteile zerlegen und so an die Lösung kommen. ... aber Gewalt fühlt sich nicht gut an.

Wie kann ich damit umgehen? Der Schrei hat schon mal geholfen, meine Gefühle auszudrücken. Immer noch rot im Gesicht fühlt es sich jetzt schon ein bischen besser an.

An den Umschlag bin ich aber noch immer nicht rangekommen.

Ich vermute ja nur, dass sich darin die Anleitung zum "Wie es mir besser geht" befindet. Vielleicht ist es so. Vielleicht ist dieser Glaskasten aber auch nur ein Sinnbild für etwas. Er ist ja durchsichtig und ich kann den goldenen Umschlag sehen. Vielleicht ist der Kasten ein Sinnbild für mich selbst, der goldene Umschlag ein Hinweis auf mein Inneres und der vermutete Inhalt ein Sinnbild für die Lösungen, die in mir schlummern?

Das gefällt mir. Ich will doch die Lösung in mir selbst finden und nicht im äußeren. Das passt. Zeit für einen Dialog mit meinem Inneren.

Anja: Stimmt das Bild? Ist der Glaskasten mit dem goldenen Umschlag eine Metapher für mein Inneres und dass die Lösung in mir selbst liegt?

Innere Stimme: Natürlich!

Anja: Okay. Dann sag mir doch mal bitte, wie es mir besser gehen kann. Was kann ich tun? Was soll ich tun?

Innere Stimme: Halt, nicht so schnell. Du willst viel zu schnell vorwärts kommen. Das tut dir nicht gut. Du brauchst viel mehr Zeit. Die willst du dir aber nicht geben. Deswegen hast du auch so Kopfschmerzen.

Anja: Aha. Doof. Ich will jetzt aber die Lösung. Jetzt gleich will ich wissen wie es mir besser geht!!!!! Maaaaaaannnnoooooo!

Innere Stimme: Ich sehe dich schon wieder rot angelaufen schreien. Du bist unglücklich, dass es nicht so läuft wie du es gerne willst.

Anja: (mault) Ja und, was ist daran so schlimm?

Innere Stimme: Daran ist gar nichts schlimm. Es ist einfach so.

Anja: Ja und? Wie soll mir das bitte schön weiter helfen?

Innere Stimme: Du bist sehr angespannt.

Anja: Ja.

Innere Stimme: Schau dich gerade mal um, ob dich etwas in deiner Umgebung stört.

Anja: Ja, das Fenster ist offen und der Straßenlärm und das Geräusch eines Kompressors nerven mich.

Innere Stimme: Dann mach das Fenster zu.

Anja: (wieder maulend) Ja gut, aufstehen ist aber lästig... so habe ich gemacht.

Innere Stimme: Ist es jetzt besser?

Anja: Nur ein bischen.

Innere Stimme: Was stört dich noch?

Anja: Der Rechner ist so laut.

Innere Stimme: Dann mach den PC aus.

Anja: Ja, dann kann ich hier aber nichts mehr schreiben und nicht mehr weiter arbeiten.

Innere Stimme: Ja und? Dann ist das jetzt eben so. Du kannst jetzt nichts mehr am PC schreiben und auch nichts anderes machen. Dafür gehen aber vielleicht deine Kopfschmerzen weg und du entspannst dich endlich. Das ist doch ein Grundproblem. Du sagst, du fühlst dich nicht gut.

Anja: Ja.

Innere Stimme: Aber die Lösung suchst du im Außen. Dabei liegt die Antwort so nah: Schau, was dir ganz konkret gut tut und was nicht. Was tut dir gerade nicht gut?

Anja: Das Rechnergeräusch.

Innere Stimme: Was würde dir jetzt gut tun?

Anja: Den Rechner ausmachen. Wärme, eine heiße Dusche, mich hinlegen, japanisches Heilpflanzenöl auf die Stirn.

Innere Stimme: Da hast du die Anleitung für die Lösung, Anja. So einfach - und offensichtlich auch gleichzeit so schwer - ist das. Die Welt geht nicht unter, wenn du jetzt den Rechner ausmachst. Du tust dir etwas Gutes, auch wenn sooooo viel liegen bleibt und du deswegen erst mal ein doofes Gefühl hast. Glaube mir, es wird sich auszahlen, dass du dir jetzt was Gutes tust, viel mehr als jetzt noch eine Stunde und noch eine Stunde und noch... hier zu sitzen und dich zu quälen. Kannst du das annehmen?

Anja: Ja. Na gut. Ich versuche es und mache den PC jetzt aus, stelle mich unter die heiße Dusche und bin mir eine ganz besonders liebevolle und umsorgende Mama.

Tschööööö

Anja Kolberg

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