Ein Tag wie ein Jahr oder ein ganzes Leben?
Dienstag war mein Geburtstag. 45 Jahre. Ich hatte keine Idee davon wie der Tag laufen sollte, vielleicht Zeit mit mir selbst verbringen, mich verwöhnen? Auf feiern hatte ich mitten in der Woche keine Lust und am Wochenende nachholen? Hm, passte diesmal irgendwie auch nicht. Ich lies es auf mich zukommen. Und dann merkte ich einen Tag zuvor, was ich wirklich gerne wollte: Mit meinem Mann in dem Restaurant in der Südstadt essen gehen, die veganes und normales Essen anbieten. Entweder abends oder am allerallerliebsten brunchen, weil auf dem Büffet mehr Auswahl ist. Ich erzählte meinem Mann davon und lies den Wunsch los, denn für den Brunch hätte er sich früher frei nehmen müssen, ob das gelang mussten wir dem Himmel überlassen.
Am Morgen war mein Mann dann wie immer früh zur Arbeit unterwegs, er hat mich rücksichtsvoll schlafen lassen. Ich war um sieben wach und fühlte leider keine gute Laune. Der Himmel war grau. Ich merkte, es war nicht gut, meinen Tag davon abhängig zu machen, ob mein Mann frei machen konnte oder nicht, manchmal klappt das, wenn sie an dem Tag wenig Termine haben. Aber durch das Warten, ob es vielleicht klappt, hatte ich mir die Möglichkeit genommen, mich davon unabhängig selbst auf den Weg zu machen und etwas zu unternehmen. Nun gut, hab ich was fürs nächste Jahr gelernt. Ich raffte mich auf, ging mit Minu unsere morgendliche Runde spazieren und nahm am Postfach Geburtstagsbriefe und ein größeren Karton entgegen. Herrlich! Meine Laune stieg.
Der Grüne Smoothie schmeckte bitter, das waren wohl diesmal nicht die richtigen Zutaten. Kein würdiger Geburtstagsfrühstücksdrink. :o) Dafür schmeckten die Briefe zauberhaft. Das Patenkind meines Mannes hatte mir mit ihrem Bruder etwas gemalt und auch den Umschlag verziert. Herrlich! Meine Schwester hatte mir eine bezaubernde Schmetterlingskette aus Kristall geschickt. So schön. Als ich die Briefe gelesen und mich bedankt hatte, fühlte sich das so warm an.
Und dann überkam mich doch Traurigkeit. Traurig ob der Lebendigkeit einer eigenen Familie, die ich in meinem Leben nicht habe. Manchmal überkommt mich das einfach. Klar, ich hatte Zeit zum Nachdenken und bereute, dass ich mir keine Gäste eingeladen hatte. Dann wäre ich abgelenkt gewesen. Aber es wäre nur ein Überdecken von dem gewesen, was sowieso da ist. Ich kann meine Traurigkeit gut aushalten und sie ist ok für mich. Ich forschte nach innen und fühlte Einsamkeit. All die Menschen, die an mich dachten, waren weit entfernt, ja mir wurde bewusst, wie kostbar persönlicher Kontakt sei es durchs Telefon oder sich sehen für mich ist. Viele Erkenntnisse.
Doch wer kann diese Einsamkeit füllen? Ist das nicht meine Aufgabe? So viel leichter ist es, diese Liebe und Aufmerksamkeit zu empfangen, statt sie mir selbst zu geben. Ein Trugschluss, eine eigene Familie sei das Heilmittel. Ich trau mich immer öfter, mich mit meinen Gefühlen zu zeigen, mit meiner Verletzlichkeit. Nicht um Trost zu erfahren, nicht um Hinweise zu bekommen, was ich tun könnte, damit es mir besser geht. Das will ich beides nicht und ich brauche es nicht. Ich bin sehr klar in diesen Gefühlen, (könnte sogar sagen, ich bin nah bei mir und das fühlt sich gut an) ich weiß sie gehen vorbei und weiß, was ich für mich tun kann. Sie brauchen sich keine Sorgen um mich machen. Ich will mich damit zeigen und damit mir selbst sagen: So ist es und das ist ok so. Auch das geht vorbei. Und es geht vielen anderen ähnlich. Ja, das ist es, was ich will: Ich will anderen durch mein mich hier öffnen zeigen, auch mir geht es manchmal nicht gut, auch ich habe schlechte Tage oder Momente, selbst an meinem Geburtstag. Und das ist ok so. Und geht auch wieder vorbei. Ich will nicht so tun, als sei alles ok, das ist für mich ein falsches Bild meiner Wirklichkeit. Wir haben schon genug unechtes in der Welt, ich will authentisch sein, bzw. ich übe es. Denn es gelingt mir nicht immer.
Meine Stimmung änderte sich schlagartig, als meine Eltern anriefen. Seit Wochen freue ich mich auf ihren Anruf. Natürlich telefonieren wir öfter. Aber zu meinem Geburtstag bekomme ich ein Ständchen von ihnen, das ist etwas besonderes für mich, auf das ich mich sehr freue. Und ich habe es diesmal auf mein Diktiergerät aufgenommen. *HÜPF* Was für ein schöner Moment. Danach meldete sich mein Bruder, hm, das tat gut. Er brachte mich auf die Idee, meinem Mann zu sagen, dass wir unser Essen auf den Abend verschieben und er sich nicht beeilen muss, dann wäre ich doch auch frei. Stimmt. Kaum hatten wir das ausgesprochen, stand mein Mann in der Türe. Mit einem wunderschönen Frühlingsstrauß. So schön! Es hatte wie durch ein Wunder geklappt!
Meine Laune stieg in ein herrliches stabiles Gleichgewicht hinein. Wir machten uns auf den Weg. Die Sonne schien. Herrlich. Fuhren in ein Parkhaus am frisch sanierten Rheinauhafen und gingen zu Fuß in die Südstadt, wo wir nur ein paar Schritte von der Severinstorburg entfernt im Ecco einen schönen Tisch am Fenster bekamen. Ich fühlte mich am Büffet wie im Himmel. Einfach alles von meiner veganen Seite nehmen können, ohne zu fragen oder nachzulesen, ob es vegan ist oder nicht. Mein Mann war gut mit Fleischgerichten versorgt. Beide zufrieden. Das Essen war schmackhaft, nicht außergewöhnlich gut, zu Hause können wir es ebenso. Auch ein schönes Gefühl, zu wissen wir machen es zu Hause auch gut. Dennoch ist es eben etwas besonderes, nicht selbst kochen zu müssen und eine so große Auswahl zu haben.
Besonders war aber auf jeden Fall das Nachtischbüffet für mich. X verschiedene Kuchensorten in Ministückchen geschnitten, so dass ich alles probieren konnte. Dann noch in kleinen Einweckgläschen verschiedene Puddings, lecker Milchreis und einen Pflaumen- und Apfelstrudel mit Vanillesoße. Schluck. So was leckeres. Das war wirklich besonders. Wir würden wieder hingehen.
Anschließend sind wir bei wärmendem Sonnenschein (mein Mann sogar im T-Shirt, brrrr, wäre mir zu kalt gewesen) zurück an den Rheinauhafen gegangen. Ich war da noch nie, so war es interessant, die neu entstandene Architektur, die Kranhäuser zu betrachten und mir ein Bild von diesem neu gestalteten Teil Kölns am Rhein zu machen. Besonders schön fand ich aber nicht die neuen Gebäude, die sind nicht so meine Welt, sondern die alten, zum Beispiel das Siebengebirge oder ein sehr schönes rot angestrichenes Gebäude mit einem Turm. Ich habe auf Youtube Bilder von Köln vor dem zweiten Weltkrieg gesehen. Welch ein Traum, so wunderschöne Gebäude schmückten Köln. Kaum noch etwas ist davon nach den Bombenangriffen stehen geblieben. Um so mehr freue ich mich, wenn ich das ein oder andere schön restaurierte Gebäude betrachten kann.
Am Nachmittag zu Hause lies ich es dann langsam angehen. Ein bisschen Büroarbeit. Mails beantworten und liebe Telefonate entgegen nehmen. Ein herrlich überraschender Besuch. Die Nachrichten vom Flugzeugabsturz erreichten mich durch meine Freundin, die sich erkundigte, ob mein geliebter Cousin bei Germanwings oder Lufthansa Flugbegleiter ist. Bei Lufthansa, aber beide Gesellschaften sind verbunden. Puh. Schwer, die Bilder und Gedanken auszublenden und mich auf Positives und Stärkendes zu konzentrieren.
Also ab in die Sonne. Ein paar Minuten den Vögeln lauschen, ein paar Sonnenstrahlen einfangen und diesen Moment Leben genießen. Nebenan ist das Haus letzten Sommer verkauft worden, es wurde im letzten halben Jahr innen saniert und jetzt ist die Außenfassade dran. Wir haben am Samstag unsere Pergola eingepackt, damit wir darunter durch den entstehenden Dreck nicht alles wieder mühsam neu grundreinigen müssen. Hier wird gerade laut geklopft, es gibt Erschütterungen. So verändert sich das Leben und die Umgebung. Auch wenn Menschen sterben wie unsere alte Nachbarin, das Leben verändert sich und geht weiter. Einfach so. Manchmal macht mich das sprachlos. Aber so ist das Leben. Um so wichtiger, die schönen Momente tiefer einzuatmen und wahrzunehmen.
Am Abend war ich Chefin über die Fernbedienung (wir wechseln uns ab) und ich habe den Film 'Den Himmel gibt's echt' ausgesucht. Er handelt von einem amerikanischen Kirchenprediger und seiner gläubigen Familie. Nachdem ihr Leben in der Gemeinde gezeigt wird, erleidet ihr vierjähriger Sohn einen Blinddarmdurchbruch. Sein Leben steht auf der Kippe, doch er überlebt. Anschließend erzählt der Junge seinen Eltern, er sei im Himmel gewesen, beschreibt Jesus, weiß dass er eine tote Schwester hat. Die starke kirchliche Prägung des Films fand ich befremdlich, doch die Geschichte dahinter rund um den Jungen, die hat mir gefallen und mich berührt.
Müde und erfüllt von diesem Tag bin ich ins Bett gefallen. Es ging mir gut. Ich überlegte, ob vielleicht der Geburtstag ein Sinnbild sein könnte für mein neues Lebensjahr, wenn nicht gar für mein Leben. Es waren traurige Momente dabei, Momente, wo ich mich einsam fühlte und dann die pure Lebendigkeit, Sonne, Genuss, Gemeinsamkeit, neues erleben. Ja, ein ganzes Leben. Ich lebe alle Seiten: Helle und dunkle. Leise und laute. Stille und lebendige. Alles das ist mein Leben. Es gelingt mir immer mehr, es so anzunehmen wie es ist. Mich anzunehmen wie ich bin und zu mir zu stehen.
Was für ein schönes Geschenk an mich selbst.
Auf das Leben!
Anja Kolberg
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Thema: Blog - 2015, 1. Halbjahr, Blog - Mich selbst annehmen
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